Die sehr kleine Stadt oder die Badewanne

Zum Spaziergangswettbewerb

2011-10-02

Eines Abends – ein Jahr ists her – stolperte der Fussgänger über den Spaziergangswettbewerb. Aus Berlin.

gesucht wird dein schönster stadtspaziergang. [...]. jeder spaziergang mit stadtrelevantem inhalt kann an dem wettbewerb teilnehmen.

Eines Nachts schuf der Fussgänger Die sehr kleine Stadt oder die Badewanne (pdf 565k) – eine Fotocollage aus dem Nirgendwo. Mit kurzem Text, der so beginnt:

Ein Spaziergang fängt irgendwo an. Ein Weg entsteht, nicht ziellos, eher eine Folge von Augenblicks-Entscheidungen.

Eines Morgens sah er die Ergebnisse des Spaziergangswettbewerbs. Die Badewanne auf dem zweiten Platz kam ihm bekannt vor. Ein «erweiterter» Blogeintrag wurde vorbereitet (dabei bliebs allerdings). Dazu ein sehr schöner Auszug aus einem Jurymitglied-Mail:

ich hatte beim lesen deines textes quasi ein dreidimensionales messtischblatt zur hand und empfand die topografisch-historische, auf eindrücke verzichtende beschreibung als riesenbadewannenweiten raum für den lieblingsspaziergang, welcher sowohl noch zu spazieren ist als auch ein liebling noch erst werden darf.

Und des Fussgängers – er nennt sich nun dem Anlass ersprechend Spaziergänger – Kommentar:

Des Spaziergängers saloppe Spaziergangsklassifikation unterscheidet zwischen 0-D, 1-D und 2-D-Spaziergängen. Der 0-D- oder touristische Spaziergang führt quasi weglos von Punkt zu Punkt. Der 1-D- oder klassische Spaziergang huldigt dem Weg. Die Spur des 2-D- oder rhizomorphen Spaziergangs – der Spaziergänger nähert sich der sehr kleinen Stadt – ähnelt Telefonatsgekritzel. Eine Prise 3-D dazu und schon ist das metaphorische Gefäss geschaffen für den schönen und schön kurzen Satz von Michel de Certeau: Gehen bedeutet, den Ort zu verfehlen [1].

Dem Spaziergänger nicht bekannte Gäste an einen den Gästen, so seine Mutmassung, nicht bekannten Ort (ver)führen: Der Spaziergänger baut ein topografisches Gefäss, wage nur und doch, so hofft er, verlockend. Und lässt die Gäste ihre eigenen Bilderwelten bauen. So schuf der Spaziergänger «Die sehr kleine Stadt oder die Badewanne». Eine kleine Geschichte. Klassische Spaziergänge in die Wanne zaubern, das kann der Spaziergänger. Denn es gibt eine kleine Stadt, die mit seiner Geschichte vereinbar ist: Le Locle, Schweiz, fast Frankreich. Berlin war der sehr kleinen Stadt früher näher [2].

Inzwischen wurde der nächste Metastadt–Spaziergangswettbewerb unter dem Motto «Stadterfahrungen» ausgeschrieben. Einsendeschluss ist der 30. November 2011.

Die Bilderwelten des Fussgängers entstehen und gehen – einige hat er als fotografisches Supplement vorerst mal eingefroren: Le Col-des-Roches, Le Marais, Les Billodes, Avenue de l’Hôtel-de-Ville, Ancienne Poste und Quartier du Progrès.

  • [1] Michel de Certeau, Kunst des Handelns, Berlin, 1988
  • [2] Der Fussgänger musste halt eine kryptische Bemerkung für BerlinerInnen anfügen. Der Artikel Neuenburgerhandel hilft da weiter.